Keine Rückführung ins Heimatland trotz Entführung des Kindes
In Verfahren mit Auslandsbezug, in denen ein Elternteil ein Kind gegen den Willen des anderen Elternteils ins Ausland verbringt, bildet das Haager Kindschaftsübereinkommen (HKÜ - Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung) die rechtliche Grundlage für die Rückführung des Kindes in das Land, in dem die Kinder zuvor mit den sorgeberechtigten Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten.
Eine Ausnahme liegt jedoch dann vor, wenn nach Art. 13 Abs. 1b HKÜ der Ausnahmetatbestand erfüllt ist, wonach eine Rückführung nicht durchgeführt wird, wenn die Rückführung eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohl befürchten lässt. Diese Beeinträchtigung hat erheblich zu sein und darf nicht allein auf der Entführung beruhen.
Das Oberlandesgericht Bremen hat in einem Verfahren der Beschwerde der Kindesmutter, die mit beiden Kinder aus der Türkei nach Deutschland geflohen ist, stattgegeben, nachdem das Amtsgericht Bremen beschlossen hatte, dass die Kindesmutter die Kinder zurück in die Türkei bringen muss. Das Oberlandesgericht Bremen ist bei seiner Sachverhaltswürdigung und bei der Beweiserhebung zu dem Schluss gekommen, dass eine besonders schwerwiegende Kindeswohlbeeinträchtigung zu befürchten sei, wenn die Kinder zurück in die Türkei gebracht würden. In der Türkei, vor der Entführung der Kinder aus der Türkei, hatte im Rahmen eines Streits der Kindesvater eine Pistole vor den Augen der Kinder an den Kopf der Mutter gehalten und den Abzug betätigt. Diese Scheinexekution hat die Kinder schwer belastet, so dass von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Kindeswohls auszugehen ist, wenn eine Rückführung in die Türkei erfolgen würde. Aus diesem Grund sah das OLG Bremen den Ausnahmetatbestand des § 13 Abs. 1b HKÜ als erfüllt.
OLG Bremen, Beschluss vom 19.12.2022, Az.: 4 UF 69/22, eingestellt am 15.11.2023