Volljährigenadoption und der Anspruch auf rechtliches Gehör des Abkömmlings
Der Fall behandelt eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) im Rahmen einer Volljährigenadoption bezieht. Die Entscheidung betrifft ein Adoptionsverfahren, bei dem der Beschwerdeführer (Bf.), das leibliche Kind des verstorbenen Adoptierenden, nicht ausreichend in das Verfahren einbezogen wurde.
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Vater des Bf., der Annehmende, die volljährige Enkelin seiner Lebensgefährtin adoptiert. Der Bf. war das einzige Kind des Annehmenden und dessen verstorbener Ehefrau. Die Adoption wurde vom Amtsgericht (AG) Berlin-Schöneberg nach dem Tod des Annehmenden ausgesprochen. Der Bf. beantragte Akteneinsicht und wollte als Beteiligter am Verfahren geführt werden, da er der Meinung war, dass zwischen dem Annehmenden und der Anzunehmenden kein echtes Eltern-Kind-Verhältnis bestand und seine eigenen Interessen gemäß § 1769 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Adoption entgegenstünden. Das AG lehnte den Antrag des Bf. ab und gewährte ihm keine formelle Beteiligung am Verfahren, sondern lediglich eine schriftliche Anhörung. Zudem erhielt er keine vollständigen Informationen über den Sachverhalt, insbesondere nicht über die Anhörung der Anzunehmenden und die Stellungnahme des Notars.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied, dass der Anspruch des Bf. auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I GG verletzt wurde. Dieser Anspruch gilt auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie es bei Adoptionsverfahren der Fall ist, unabhängig davon, ob eine Anhörung gesetzlich vorgesehen ist oder nicht. Das Gericht stellte fest, dass auch Personen, die nicht förmlich am Verfahren beteiligt sind, aber durch die Entscheidung materiell betroffen werden, wie in diesem Fall das Kind des Annehmenden, ein Recht auf rechtliches Gehör haben. Das Gericht führte aus, dass eine schriftliche Anhörung allein nicht ausreicht, wenn diese nicht auf der Grundlage vollständiger Informationen erfolgt. Der Bf. hatte keine Kenntnis von wesentlichen Informationen wie dem Vermerk über die persönliche Anhörung der Anzunehmenden oder den Ausführungen des Notars. Dies führte dazu, dass er sich nicht umfassend zu den entscheidungserheblichen Tatsachen äußern konnte.
Das AG hätte dem Bf. alle entscheidungserheblichen Informationen zur Verfügung stellen müssen, damit dieser seine Interessen im Verfahren angemessen vertreten kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst nicht nur das Recht auf Äußerung zu Tatsachen und Rechtsfragen, sondern auch das Recht auf Information über den gesamten Verfahrensstoff. Das BVerfG betonte zudem, dass § 1769 BGB vorsieht, dass eine Volljährigenadoption nicht ausgesprochen werden darf, wenn überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden entgegenstehen. Daher hätte dem Bf., als Kind des Annehmenden, die Möglichkeit gegeben werden müssen, seine Interessen darzulegen.
Das BVerfG hob den Adoptionsbeschluss jedoch nicht vollständig auf. Stattdessen wurde entschieden, dass das AG dem Bf. nun das rechtliche Gehör gewähren und unter Berücksichtigung seines Vorbringens erneut entscheiden muss, ob der Adoptionsbeschluss aufgehoben oder aufrechterhalten wird. Bis zu dieser Entscheidung bleiben die Wirkungen des Adoptionsbeschlusses bestehen. Zusammenfassend stellt der Fall klar, dass auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Anspruch auf rechtliches Gehör umfassend gewährleistet sein muss und betroffene Personen vollständig über den Sachverhalt informiert werden müssen, bevor eine gerichtliche Entscheidung getroffen wird.
BVerfG, Az.: 1 BvR 571/23, Beschluss vom31.10.2023, eingestellt am 15.11.2024