Zur mündlichen Anhörung von Sachverständigen in gerichtlichen Verfahren
In gerichtlichen Verfahren kommt es bei Fragestellungen, die die Sachkenntnis des Tatrichters übersteigen, häufig zu Sachverständigengutachten, die einen streitigen Sachverhalt gutachterlich zu bewerten haben, um rechtliche Fragestellungen zu klären.

Im Rahmen eines Beweisbeschlusses ergeht zunächst die Fragestellung an den Gutachter, die dieser zu klären und zu bearbeiten hat. Im Anschluss an das Gutachten kommt es zur Anhörung des Gutachters, so dass dem Gutachter sowohl durch das Gericht als auch durch die Verfahrensbeteiligten Fragen gestellt werden können, wenn der Inhalt des Gutachtens weiterhin streitig ist.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass auch in der nächsthöheren Instanz, sollte das Verfahren in der ersten Instanz nicht abgeschlossen sein und in der zweiten Instanz fortgeführt werden, eine erneute Anhörung des Sachverständigen erfolgen kann, da der jeweilige Tatrichter sich einen eigenen Eindruck hinsichtlich der Fragestellungen machen muss. Es hat also immer dann eine erneute Anhörung des Sachverständigen zu erfolgen, wenn dies nach Auffassung der Nachfolgeinstanz notwendig ist, oder wenn die Nachfolgeinstanz von den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts abweichen will. Daraus ergibt sich, dass eine Anhörung in beiden Tatsacheninstanzen erfolgen kann.

Praxishinweis: Ob es zur Anhörung eines Sachverständigen kommt oder ein schriftliches Gutachten ausreichend ist, entscheidet der Tatrichter, wie sich aus § 402 ff. ZPO ergibt. Wird das Gutachten allerdings für ungenügend erachtet, so kann ein neues Gutachten entweder durch denselben Gutachter oder einen anderen Gutachter gefordert werden.
GH, Az.: XII ZR 97/21, Urteil vom 19.10.2022, eingestellt am 15.06.2023