Die Kündigung einer Lebensversicherung beinhaltet nicht automatisch die Widerrufserklärung des Bezugsrechts
Die Kündigungserklärung eines Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung, die mit einem Auszahlungsbegehren verbunden ist, beinhaltet nicht automatisch den Widerruf eines Bezugsrechts auf den Todesfall. Das Berufungsgericht erkannte zutreffend, dass der Widerruf der Bezugsberechtigung eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Versicherer darstellt, die aus Sicht des objektiven Empfängers gemäß §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen ist. Im vorliegenden Fall äußerte sich die Versicherungsnehmerin in ihrem Kündigungsschreiben nicht explizit zum Fortbestand oder Widerruf des Bezugsrechts und machte keine Angaben zu den Gründen ihrer Kündigung. Sie beschränkte sich darauf, den Vertrag zum nächstmöglichen Termin zu beenden und bat um Überweisung des Restbetrags auf ihr Konto.
Das Berufungsgericht nahm jedoch fälschlicherweise an, dass in einem Kündigungsschreiben ohne gegenteilige Anhaltspunkte regelmäßig auch der Wille zum Widerruf bestehender Bezugsrechte enthalten sei. Diese Annahme ist umstritten. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in früheren Urteilen entschieden, dass ein Widerruf der Bezugsberechtigung nicht erforderlich ist, wenn der Konkursverwalter im Fall des Konkurses des Versicherungsnehmers den Vertrag nicht erfüllt und dieser in ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt wird. Diese Regel wurde jedoch später nur eingeschränkt angewendet.
In der Literatur wird diskutiert, ob eine Kündigungserklärung konkludent auch den Widerruf eines Bezugsrechts enthält. Einige befürworten dies nur unter bestimmten Voraussetzungen, andere lehnen dies ab und sehen keinen allgemeinen Erfahrungssatz dafür. Die letztgenannte Auffassung trifft zu: Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages stets den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall beinhaltet. Vielmehr muss durch Auslegung der Erklärung festgestellt werden, ob die Kündigung auch einen Widerruf des Bezugsrechts umfasst.
Im Streitfall war aus Sicht der Klägerin kein konkludenter Widerruf der Bezugsberechtigung erkennbar. Der Wortlaut des Schreibens deutete nur auf die Kündigung hin, ohne Gründe dafür zu liefern. Es gab keine Anhaltspunkte für weitere Zwecke der Kündigungserklärung oder für eine Änderung der wirtschaftlichen Motive der Versicherungsnehmerin. Die Klägerin musste nicht davon ausgehen, dass die Versicherungsnehmerin auch den sofortigen Widerruf des Bezugsrechts wünschte. Die Versicherungsnehmerin hatte zwischen dem Bezugsrecht zu Lebzeiten und dem auf den Todesfall unterschieden. Laut den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) muss ein Widerruf des Bezugsrechts schriftlich angezeigt werden, was hier nicht erfolgt ist.
BGH, Beschluss vom 22.3.2023, Az.: IV ZR 95/22, eingestellt am 01.10.2024